Hans Joachim Nitschmann

Deutschlands größte Schulsternwarte wird 130

(Zeitungsartikel vom 04.12.2002)

 

Von Hans Joachim Nitschmann

 

Im Naturpark Bautzen steht die größte und eine der ältesten Schulsternwarten Deutschlands. In diesem Jahr begeht die Einrichtung, die den Namen von Johannes Franz trägt, den 130. Jahrestag ihres Bestehens.

Sie entstand im Jahre 1872 aus dem Vermächtnis eines wohlhabenden Bautzener Bürgers, des Appellationsgerichts-Vizepräsidenten Dr. Friedrich Carl Gustav Stieber (1800-1867). Neben einer beträchtlichen Geldsumme, einer bedeutenden Bibliothek und einer wertvollen Münzsammlung fiel der Stadt auch eine kleine Sternwarte mit drehbarer Kuppel und einem hervorragenden, noch heute vorhandenen und einsatzfähigen Fernrohr aus der weltberühmten Werkstatt von Utzschneider & Fraunhofer in München zu. Nach dem Willen des Erblassers sollte es „…der astronomischen Bildung der Schuljugend“ dienen.

Am 20. Dezember 1872 wurde die Einrichtung „mit Genehmigung durch das Königliche Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts“ ihrer Bestimmung übergeben.

Ein „stadträthlicher Beschluß“, der bereits am 11. August 1871 gefasst worden war, bestimmte, „dass der rector gymnasii dieses Observatorium in seine Aufsicht und Obhut nimmt und dessen Benutzung für Lehrzwecke sowohl dem Gymnasium als den beiden Lehrerseminaren, den städtischen Schulen und der gewerblichen Sonntagsschule freigestellt sein soll“.

 

Nitschmann wird zum Mitglied der Forschungsgruppe Astronomie berufen
Nitschmann wird zum Mitglied der Forschungsgruppe Astronomie berufen

Erster Leiter der Sternwarte war der Rektor des Gymnasiums, Prof. Dr. Kreussler.

1922 wurde sie vom Nestor der praktischen Schulastronomie J. Franz (1892-1956) übernommen, der eine anerkannt hochwertige Arbeit mit Schülern ab der Klassenstufe vier leistete.

Von 1956 bis 1995 lag die Leitung der Sternwarte in den Händen von Hans Joachim Nitschmann. In diesem Zeitraum fielen die Verlegung der Sternwarte in das Gebäude des jetzigen Sorbischen Gymnasiums an der Friedrich-List-Straße, die Anschaffung eines Zeiss-Planetariums sowie von 1976 bis 1982 der Neubau eines großzügigen Gebäudekomplexes am Bautzener Naturpark. Von 1995 bis zu seinem Tode 2001 war Wolfgang Schwinge, der sich vor allem der volkstümlichen Astronomie und der Astrofotografie widmete, Leiter der Einrichtung.

Von der Bautzener Schulsternwarte gingen wesentliche Impulse für die Einführung des Unterrichtsfaches Astronomie ab dem Schuljahr 1959/60 an den Schulen der ehemaligen DDR aus. In Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule und der Technischen Universität Dresden erwarb sich die Sternwarte große Verdienste bei der Ausbildung von Lehrern für das Fach Astronomie. Es ist bemerkenswert, dass die ersten Astronomie-Fachlehrer der DDR ihre Staatsexamen 1963 in Bautzen ablegten. Die Sternwarte entwickelte sich darüber hinaus zum Zentrum der Lehrerfortbildung, nach der Wende deutschlandweit und offen für Teilnehmer aus Europa.

Weltweite Bedeutung und Bekanntheit erlangte die Sternwarte als internationale Station zur optischen Bahnkontrolle künstlicher Raumflugkörper in den Jahren von 1958 bis 1982.

Gemeinsam mit der ungarischen Schulsternwarte in Baja gelang mit einem simultanen Beobachtungsprogramm erstmals der Nachweis von Luftdichteschwankungen in Bahnhöhen jenseits 1 000 Kilometer.

 

Breiten Raum nahm die Mitarbeit an Lehrplänen, -büchern, Unterrichtshilfen und -mitteln sowie methodischen Handreichungen ein. Forschungen auf dem Gebiet der optischen Wahrnehmungspsychologie führten zu ausgewählten Objekten für die Schülerbeobachtungen. Die Sternwarte war des Weiteren Gründungsort und viele Jahre Redaktionssitz der Zeitschrift „Astronomie und Raumfahrt im Unterricht“, die 2003 im 40. Jahrgang erscheint.

Die ständige Ausstellung „Faszination Weltraum“ im Foyer des Gebäudes vermittelt einen umfassenden Einblick in den Aufbau des Universums. Zahlreiche Farbaufnahmen, die an großen Sternwarten oder mit dem Hubble-Weltraumteleskop gewonnen wurden, sowie Modelle und eine Wettersatelliten-Empfangsanlage beeindrucken die Besucher immer wieder.

 

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